Bürgermeisterinnen in Österreich 2022: Überbordende Bürokratie, Haftung und Geschlechterunterschiede

01. Apr 2022 • News • Diverse • Marktforschung • Wirtschaft, Politik & Gesellschaft

Die Studie unter Bürgermeisterinnen zeigt dir Herausforderungen durch überbordende Bürokratie, Haftung und Geschlechterunterschiede.


Gleichstellung, allgemeine Herausforderungen und Antrieb der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister waren die zentralen Themen einer umfassenden Umfrage von Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle im Auftrag des Österreichischen Gemeindebundes, die im Vorfeld der ersten Bundesfachtagung für Bürgermeisterinnen präsentiert wurde. Die Ergebnisse zeigen vor allem die hohen Anforderungen an Lokalpolitikerinnen und -politiker auf und erschließen Geschlechterunterschiede.

Ein deutlicher Geschlechterunterschied zeigt sich etwa bei der Motivation, für das Amt zu kandidieren: Knapp 27 Prozent der Bürgermeisterinnen gaben an, „überredet“ worden zu sein, während nur 9,5 Prozent der Männer diese Antwort wählten. Weit mehr als die Hälfte der 318 befragten Ortschefs (63 Prozent) haben in ihrem Amt bereits einmal oder mehrmals persönliche Erfahrungen mit Beleidigungen, Bedrohungen und Übergriffen gemacht. Frauen erleben dies tendenziell öfter (mehr als 70 Prozent) als Männer (knapp 60 Prozent). Die Bürgermeisterinnen sorgen sich auch eher um ihre soziale Absicherung (knapp 55 Prozent) als ihre männlichen Amtskollegen (38 Prozent). Beinahe die Hälfte der befragten Frauen sind nicht in der Gemeinde aufgewachsen, in der sie Bürgermeisterin sind, während nur 18 Prozent der Männer diese Angabe machten. Den Lokalpolitikern ist Frauenförderung in der Gemeindepolitik ein großes Anliegen, wie 70 Prozent der Befragten bestätigten. Viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind auch der Meinung, dass die Erwartungen an Frauen als Bürgermeisterin höher sind, bzw. sie sich stärker beweisen müssten als Männer.

Für die Politikwissenschaftlerin und Studienautorin Kathrin Stainer-Hämmerle zeigt die Umfrage ganz klar: „Das Bewusstsein für Frauenförderung ist bei den Verantwortlichen noch nicht ausreichend angekommen. Wenn 83 Prozent der Bürgermeister meinen, an ihre Kolleginnen würden dieselben Anforderungen gestellt, verkennen sie die Lebensrealität von Frauen in der Politik.“ Auch bei der Frage nach der Notwendigkeit von Maßnahmen zur Förderung von Frauen in der Gemeindepolitik scheiden sich die Geister bei den Geschlechtern. „Hier gibt es noch ordentlich Aufholbedarf in der Gesellschaft und der Politik die Hürden für Frauen sichtbar zu machen und diskriminierende Rollenbilder zu durchbrechen“, sagt Stainer-Hämmerle. Für die Politikwissenschaftlerin „muss jedenfalls die Gleichstellung in allen Lebensbereichen das erklärte Ziel bleiben, auch wenn es verschiedene politische Konzepte zur Erreichung dieses Ziels gibt. Gute zukunftsfähige Politik ist nur möglich, wenn alle mitreden und mitentscheiden.“

Als größte Herausforderung im Amt gaben die befragten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister die steigende rechtliche Verantwortung an, gefolgt vom steigenden Anspruch der Bevölkerung. An dritter Stelle, noch vor Finanzproblemen, klagten die Ortschefs über die überbordende Bürokratie und Überregulierung. „Die Ergebnisse zeigen deutlich, wo der Schuh drückt und wo dringender Handlungsbedarf herrscht. Wir fordern seit Jahren die Entlastung der Gemeinden vor unnötiger Bürokratie und warnen vor dem steigenden Haftungsrisiko. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind die besten und erfahrensten Krisenmanager, die direkten Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger und damit auch gemeinsam mit den Gemeinderäten wichtige Stabilitätsfaktoren für unsere Demokratie und Gesellschaft“, betont Gemeindebund-Präsident Bürgermeister Alfred Riedl.

Die Umfrageergebnisse verdeutlichen die hohen Anforderungen an die heimischen Kommunalpolitikerinnen und -politiker. 70 Prozent der Befragten sind der Meinung, als Bürgermeisterin oder Bürgermeister zu wenig Privatleben zu haben. Dass es sich bei dem Amt um einen Vollzeitjob handelt, zeigt, dass fast die Hälfte der Ortschefs mehr als 40 Stunden pro Woche für die Gemeindearbeit aufwendet. Bei 16 Prozent sind es sogar mehr als 60 Stunden pro Woche. Frauen verbringen insgesamt mehr Zeit im Einsatz für die Gemeinde als ihre männlichen Kollegen. Nichtsdestotrotz üben der Großteil der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister das Amt nebenberuflich aus, fast ein Viertel geht neben dem Amt einer Vollzeitbeschäftigung nach. Die Vereinbarkeit von Bürgermeisteramt und Kindern in betreuungspflichtigem Alter wird von Frauen und Männern gleich eingeschätzt – etwas mehr als die Hälfte sieht darin kein Problem.

Trotz allem bewerten die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ihr Amt als durchaus lohnend. Die Hälfte der Befragten sind mit dem Bürgermeisterbezug zufrieden und der überwiegende Großteil nannte die Gestaltungsmöglichkeiten, den Kontakt mit Menschen und das direkte Feedback als schönste Bereiche ihrer Tätigkeit. Gemeindebund-Präsident Riedl: „Die Ergebnisse der Umfrage sind ein gutes Stimmungsbild für uns, aber auch ein Auftrag. Geschlechtergleichstellung ist uns ein großes Anliegen und wir wollen auch weiterhin aktiv Frauenförderung betreiben. Die Bundestagung für Bürgermeisterinnen, die von 31. März bis 1. April zum ersten Mal stattfindet, dient als Plattform für den fachlichen Austausch unter Kommunalpolitikerinnen und soll Frauen für selbstbestimmtes politisches Engagement motivieren. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister bemühen sich stets, vor allem weiblichen Nachwuchs für die Kommunalpolitik zu gewinnen.“

Sonja Ottenbacher, Bürgermeisterin und Initiatorin des jährlichen Bürgermeisterinnentreffens setzt sich seit 2007 für die Vernetzung von Frauen in der Gemeindepolitik ein: „Als ich vor über 20 Jahren zur Bürgermeisterin gewählt wurde, gab es in Österreich gerade einmal 45 Bürgermeisterinnen – heute sind es 202. Allein in den letzten fünf Jahren sind um ein Drittel mehr Bürgermeisterinnen dazu gekommen. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Jede weitere Initiative ist willkommen, um Frauen zu ermutigen, sich mehr zuzutrauen.“